Ankunft, wieder zurück


Die Reise und nicht das Ziel ist von Bedeutung. T.S. Elliot (1888 – 1965)


Wir planen am Freitag, 2. September 2016, nachmittags wieder in Wendtorf einzulaufen. 
Samstagabend dürfen wir dann nach drei Monaten Abstinenz wieder mit einem Auto fahren und mit unglaublicher Geschwindigkeit auf der Autobahn nach Hause düsen. 
Die gesegelte Route, Stand 29. August 2016
Die gesegelte Route, Stand 29. August 2016

Die Zugvögel kehren heim

Mit AIS und Marine Trafic schauen wir ab und zu, wo sich die Yachten gerade aufhalten, zu denen wir auf unserer Reise näheren Kontakt hatten. 
Die Mariana mit Heike und Tom ist von Fehmarn auf dem Weg zum NOK, die Primadonna und die Juella haben schon aus Berlin das letzte Signal gefunkt. Von der Kone mit Wiebke und Ronald haben wir leider seit dem Götakanal nichts mehr gehört. Sie hatten aber einen sehr konkreten Segelplan. Kerrin und Jesper haben die Emma-Andrea vor zwei Wochen auf Sælland an ihren Eigner zurückgegeben. In Kopenhagen hatten wir uns noch einmal mit Ihnen getroffen. Die netten Schweden haben ihre Esmeralda über den Götakanal bereits wieder in den Heimathafen im Vättern verschifft. 
Was wohl aus Opa Thule geworden ist, haben wir uns oft gefragt. Ein Mann, um über siebzig, als Einhandsegler auf der Route unterwegs. Von Polen bis Kuressaare haben wir uns immer wieder einmal in den Häfen getroffen. Er erzählte uns, dass er 25 Jahre mit seiner Frau gesegelt ist. Seit sie verstorben ist, segelt er einhand auf der Ostsee. Von Berlin aus. "Was soll ich denn in meiner Wohnung sitzen und mich langweilen" hat er gesagt. Sicher ist er auch längst auf dem Heimweg. 

In den Häfen auf der Ostseeroute im Baltikum werden seit ein paar Wochen bestimmt auch viel weniger deutsche Flaggen gesichtet. Wenn man die Runde im Sommer durchfahren will, kommt man im Juni und Juli dort an. 
Wir haben in den letzten Tagen auch schon 2 Boote in Dänemark gesehen, die bereits alle Gastlandflaggen der bereisten Länder unter der Steuerbordsaling gezeigt haben. Alle auf dem Heimweg. 
Die Zugvögel kehren am Ende des Sommers wieder heim. 

Land in Sicht
Land in Sicht

Wir sind zurück! Freitag, 2.9.16, 16:30h

Nachdem in Kappeln die Kranfahrt zu Ende ist und noch schnell der Schäkel des Großfalls ersetzt ist - der Öffnungsring des Schnappschäkels hat sich doch tatsächlich verbogen und beim Öffnen springen Feder und Bolzen im hohen Bogen über Bord- kann die Skokie mit ihrer Crew wieder voll funktionsfähig nach Hause kommen.
Wind und Strömung auf der Schlei lassen uns schnell mit der Genua zum Leuchtturm Schleimünde gleiten. Vor Olpenitz wird das Großsegel dazu gesetzt und mit schneller Fahrt geht's nach Süden. Zu schnell. Denn wir bekommen auf dem Handy die Nachricht, dass es bei der Anreise des Empfangskomitees Verzögerungen durch volle Autobahnen gibt. Um den Lieben, die uns am Steg umarmen wollen lange Gesichter zu ersparen, verlängern wir die Fahrt und drehen noch eine Extrarunde nach Strande, Schilksee und Laboe. Als dann alle da sind, dürfen wir einlaufen. Winken, Juchzen und laute Nebelhörner machen die Marina auf das kleine Ereignis aufmerksam. Wir sind wieder zurück. Die Geste des Chapeau auf dem Steg, beim Einbiegen in die Boxengasse zu unserem Liegeplatz, macht uns eine trockene Kehle. Als alle Leinen fest sind und wir uns an Land in den Armen liegen, kullern ein paar feuchte Perlen der Freude über die Wangen.  
Was für einen tollen Sommer auf dem Boot haben wir erlebt!


Eine kleine Willkommensparty findet im Lutterbeker statt. Trotz rappelvoller Bude hat es Gesche vom Lutterbeker geschafft einen Tisch für uns sechs frei zu bekommen. Dafür muss sie natürlich mit auf ein Foto, was nicht besonders schwer fällt. Küsschen links, Küsschen rechts, schön, dass ihr wieder da seid. 

Fazit

(Oktober 2016)


Wir sind inzwischen wieder 4 Wochen "an Land". Haben die Euphorie der Heimkehr hinter uns, die Glückwünsche und das Schulterklopfen unserer Familie und Freunde sind verebbt. Wir haben den achtzigsten Geburtstag von Blogger-Pa am Steinhuder Meer und die Hochzeit von Lisa und Robin in Den Haag gefeiert. Viel erzählt und natürlich im Büro die Arbeit wieder aufgenommen. 

Viele Fragen haben wir beantwortet. So richtig kann das Erlebte aber nicht mit knappen Antworten, mal eben auf dem Flur, berichtet werden. Ob das Wetter gut war, ob wir auch jeden Abend für die Nacht in einem Hafen waren, warum wir auf der vermeintlich kalten Ostsee gesegelt sind und nicht im Mittelmeer. Und wie es so ist, so lange Urlaub zu haben, ob wir uns erholt haben und ob wir uns entspannen konnten. Was das schönste war und ob es so lange Zeit zu zweit auf engem Raum geklappt hat. All diese Fragen lassen bestimmte Erwartungen der Antwort vermuten. 


Ja, es war ein langer Urlaub. Aber es war auch mehr. 


Ja, wir haben uns entspannt. Aber es war auch anstrengend und wir mussten oft kämpfen. 


Ja, wir konnten dem Alltag entfliehen. Aber es gab auch einen anderen Alltag und Routinen, wenn auch andere. 


Nein, nicht das Mittelmeer, weil unser Boot auf der Ostsee liegt und uns dort das Revier gereizt hat. Eben nicht nach zwei Wochen umkehren zu müssen, weil die übliche Urlaubszeit begrenzt ist. 


Gab es das Schönste? Das war nicht eine Stadt oder eine bestimmt Ankerbucht. Das Schönste war, dass wir es gemacht haben und uns die Runde erarbeitet haben. Die Reise ansich. Nicht mit dem Flugzeug oder Auto, sondern langsam und mit anspruchsvollem, wetterabhängigem Antrieb. Ohne nach Fahrplan genau vorhersagen zu können, zu welcher Uhrzeit an welcher Stelle man welches Ziel erreicht. Das Unterwegs sein und dabei einen vollen Sommer zur Verfügung zu haben. 


Aber warum haben wir es gemacht und ausgerechnet dort?


Wir waren nach dem Törn jedes verfügbare Wochenende auf dem Boot und sind gesegelt. Wir wollten noch nicht ganz aufhören und wollten anknüpfen an die tolle Zeit auf dem Baltischen Meer. Aber es ist nicht ganz gelungen. Wir mussten Sonntags abends immer wieder zurück. Wir haben auch ein wenig "Heimweh" nach der Skokie und wollten Erinnerungen wach halten. Ach, wie gut schläft es sich doch in der Koje an Bord. Alles an Bord ist auch in Griffnähe und die Beschränkung auf das Nötigste steht im krassen Gegensatz zu den vielen Dingen zuhaus an Land, die gepflegt, geräumt, ersetzt oder benutzt werden wollen. Es ist doch erstaunlich mit wie wenig Klamotten man auskommen kann ohne dass ein Gefühl der Beschränkung entsteht. 

Wir waren nur uns selbst rechenschaftpflichtig und mussten nur selten Erwartungen von anderen erfüllen. Was passierte, was der Tag bringt, bestimmte der Wind und die Wellen. Am Wetter richtete sich fast alles aus. Die schönsten erlebten Momente sind oft auch mit gutem Wetter und Sonnenschein verbunden. 


Und warum diese Segelrunde auf der Ostsee? In langen Gesprächen z.B. mit Angela und Toddl auf unserem letzten Weekendtörn an die Schlei, sind wir auf eine Formulierung, einen passenden Vergleich gekommen: 

Es ist wohl wie bei einem Bergsteiger, der unbedingt auf diesen einen Gipfel steigen will. Dass aus der Idee ein Wunsch entsteht, ein Plan geschmiedet und in die Tat umgesetzt wird. Dann erreicht man tatsächlich den Gipfel und muss aber auch wieder runtersteigen. Man kann nicht oben bleiben. Um von Kiel nach Helsinki und um die ganze Ostsee zu segeln braucht es eben Zeit. Die gibt es nicht so einfach im üblichen Takt der Verantwortungen und Verpflichtungen. Das muss organisiert werden. Erst hier taucht der Begriff Sabattical auf. Weil sich über diesen Weg die Zeit für den ganzen Sommer auf dem Boot realisieren lässt. Und natürlich sind auch hier Kompromisse notwendig. Wenn wir bis ganz nach Norden, bis nach Haparanda gefahren wären, hätten wir 5 oder 6 Monate gebraucht, was die ganze Sache viel, viel schwieriger gemacht hätte. Aber auch in unserem 3 Monaten haben wir einen Gipfel erklommen und dürfen die Erfahrungen, die wir gesammelt haben in unserem Lebensschatz behalten. 

Ganz angekommen im Landleben sind wir noch nicht. Konnten wir auch noch nicht so richtig. Ganz bewusst beobachten wir unsere Wahrnehmung der Welt, die wir für knapp 100 Tage verlassen konnten. In einige Dinge des täglichen Hamsterrads wollen wir nicht mehr rein. Was es genau ist, müssen wir erst noch feststellen. Wir haben gerade die Möglichkeit, nach der Rückkehr etwas Von-Außen-draufzuschauen. 

An die Hektik des Autofahrens mit hohen Geschwindigkeiten und Gedrängel mussten wir uns wieder gewöhnen. Auf der Rückfahrt von Kiel konnten oder wollten wir nicht mehr als 120km/h auf der Autobahn fahren. Und das war schon irre schnell. Das, was direkt um uns herum vorhanden ist lässt sich nicht bei 33m/s erfassen. Und wehe es vergehen mehr als 1,5 Sekunden nachdem eine Ampel auf Grün geschaltet hat und man dann noch nicht das Gaspedal durchgetreten hat: Das empörte Hupen der rastlosen Zeitgenossen hinter einem ist sicher. 

Fernsehen haben wir außer der Fußball-EM nicht geschaut. Auch jetzt, 4 Wochen nach dem Ende des Törns ist der Fernseher noch nicht wieder angestellt gewesen. Das Radio blieb auf dem Weg zur Arbeit zunächst auch erstmal aus. Zu intensiv wären wir mit den permanent ausgestrahlten, für uns gerade belanglosen Produkten des Nachrichtengewerbes befeuert, etwa dass die Beliebtheit von Frau Merkel um 0,5 Prozentpunkte gefallen ist oder dass der Befangenheitsantrag der Anwaltsgruppe um die Deutsche Bank herum vom OLG abgelehnt wurde. Das Brad Pit vielleicht doch etwas zu oft Canabis konsumiert hat. Wir hatten im Sommer die Möglichkeit uns mit elementareren Themen, die uns mehr direkt betreffen, auseinanderzusetzen. Wo gibt's die nächste Bootsdieseltankstelle? Woher kommt der Wind in den nächsten drei Tagen? Gehört das komische Klacken am Wind, etwa zu einer ausgeschlagenen Ruderlagerbuchse?


Der Sommer ist längst vorbei. Am 22.10.2017 kommt die Skokie aus dem Wasser. Alles wird frostsicher eingewintert. Wir wollen unsere Erinnerungen und Erfahrungen aufbereiten und vielleicht als Vortrag zur Verfügung stellen. So können wir noch ein wenig länger an unserem Ostseesommer festhalten.